Schwimmender Steinway in der Arktis

Ludovico Einaudi und Greenpeace gaben das nördlichste Konzert der Welt

Es ist das beeindruckendste Video (via BR – Bayerischer Rundfunk/via YouTube), das wir bisher gesehen haben: Der italienische Komponist Ludovico Einaudi sitzt an einem Steinway, der auf einer schwimmenden Plattform in Optik eines kleinen Eisberges durch das Nordmeer treibt. Bevor der Pianist sichtlich bewegt zu spielen beginnt, zuckt er leicht zusammen: Ein Stück Eis bricht mit lautem Geräusch aus den umliegenden Gletschern heraus.

Dramatik und Ohnmacht vereint zum Appell: Rettet die Arktis!

Als dann die ersten leisen Töne von Einaudis „Elegie für die Arktis“ erklingen, scheint alles wieder friedlich, paradiesisch, abgeschirmt von den Bedrohungen, die die restliche Welt derzeit in Aufruhr versetzen. Die Musik erinnert an die klare und einfache Formensprache Erik Saties. Bis die Töne lauter und härter werden, bis der Pianist die Tonleitern hinabrutscht und sich die anschwellende Dramatik der Komposition mit dem lawinenartigen Herabstürzen von Eismassen aus der Gletscherwand verbindet.

Herzerweichend schließlich die Gestik, mit der Einaudi sein Spiel beendet. Sachte lässt er die eben noch regen Händen sinken, der Oberkörper neigt sich leicht nach vorn. Einen Moment lang wirkt der Künstler wie ein gebrochener alter Mann. Ein machtloser Mann, der sich mit seiner stummen Bitte an die Öffentlichkeit wendet: Please save the Arctic.

Musiker aus einflussreichem Haus

Dabei sollte man meinen, dass gerade eine Persönlichkeit wie Einaudi zu den Mächtigen dieser Welt gehört, zu jenen Personen, die Einfluss nehmen, deren Stimme überall Gehör findet. Als Enkel des früheren italienischen Staatspräsidenten Luigi Einaudi und als Sohn eines angesehenen Turiner Verlegers konnte er schon früh politische Diskurse hautnah miterleben. Gezogen hat es ihn dann auf die helle Seite der Macht, in die musikalische Tradition seines Großvaters mütterlicherseits. Die Mutter war es auch, die ihn früh das Klavierspielen lehrte. 1988 erfolgte der große Durchbruch als Filmkomponist. In Italien ist Einaudi, Träger des Verdienstordens der Italienischen Republik, sowohl für seine kammermusikalischen Werke als auch für seine „minimalistischen“ Kompositionen berühmt. Als Künstler wird er dort ebenso verehrt wie kritisiert. (Wikipediaeintrag Ludovico Einaudi)

Politischer Appell in künstlerischer Umsetzung

Vor diesem biografischen Hintergrund mag es scheinen, als kehre Einaudi zu seinen Wurzeln zurück, indem er ein politisches Statement künstlerisch verpackt. Doch wer das Video mit offenen Sinnen anschaut, der spürt, dass hier weder simple Tagespolitik noch Geltungsdrang den Impuls gaben. Die Dramaturgie wirkt trotz aller Übertreibungen glaubwürdig, weil sie letztlich in Machtlosigkeit und Demut übergeht. In Demut gegenüber dem, was größer ist, als der Mensch: Kunst, die auf alles Imposante verzichtet. Natur, die durch ihr einfaches Dasein imponiert.

Der klare Appell, der von Einaudis Inszenierung ausgeht, richtet sich in erster Linie an die OSPAR-Kommission, die derzeit (Juni 2016) auf Teneriffa tagt und die unter anderem über einen Entwurf zum Schutz des Europäischen Nordmeers abstimmen wird. In zweiter Linie richtet sich der Appell an all jene, denen der Schutz der Arktis ebenfalls am Herzen liegt und die gebeten werden, eine von Greenpeace vorbereitete Petition zu unterzeichnen.

Klaviertransport mit Hindernissen und Kritik

Die Organisation Greenpeace war es auch, die den Pianisten samt Steinway in Norwegen an Bord der Arctis Sunrise empfing, um Künstler und Klavier in die Region bei Spitzbergen zu transportieren. Eine Aktion, für die es allerdings nicht nur Lob und Zuspruch gab. So bemängelten Kritiker, dass der Aufwand, den man da betrieben habe, dem Ökosystem geschadet habe. Eine Facebook-Kommentatorin fragte beispielsweise: „Wie kann man diesen Mann samt Flügel, Kamerateam, Boote, Hubschrauber in so ein empfindliches Ökosystem verfrachten? Geht es hier wirklich um Umweltschutz?“

Wie erfolgte der Transport des Flügels?

Als Klaviertransporteure beschäftigen uns ähnliche Fragestellungen. Allerdings ist es eher Neugier, die uns antreibt, weniger die Absicht, die Aktion zu kritisieren. Wurde der Flügel tatsächlich auf einem Eisbrecher zur Inselgruppe transportiert oder war ein Hubschrauber erforderlich? Wie war die schwimmende Plattform beschaffen, die den 500 Kilogramm schweren Flügel plus Pianisten trug? Und natürlich wären wir gern in jenem Moment dabei gewesen, als das Piano auf die schwimmende Unterlage gehievt wurde.

Für uns, die wir tagtäglich mit dem Transport von Klavieren und Flügeln beschäftigt sind, ist daher nicht allein das Video beeindruckend, wir wissen auch die Logistik zu würdigen. Leider geht Greenpeace auf Fragen, wie das alles bewerkstelligt wurde, nicht ein. Schade!

Weiterführende Website von Greenpeace: Save the Arctic